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Mitte/Rechts

Die internationale Krise des Konservatismus | Thomas Biebricher

E-Book
2023 Suhrkamp Verlag
Auflage: 1. Auflage
638 Seiten
ISBN: 978-3-518-77534-9

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Kurztext / Annotation
»Damit alles bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern.« Der berühmte Satz aus dem Roman Der Leopard ist so etwas wie das inoffizielle Motto des gemäßigten Konservatismus. Parteien wie die CDU arrangierten sich mit Veränderungen und erwiesen sich als Anker der Stabilität. Heute ist nicht mehr sicher, ob die rechte Mitte hält: Setzen ihre Vertreter weiterhin auf Ausgleich und behutsame Modernisierung? Oder auf polarisierenden Kulturkampf?
In der Bundesrepublik waren die letzten Merkel-Jahre von unionsinternen Richtungsstreits geprägt. Doch nicht zuletzt der Aufstieg Donald Trumps hat gezeigt, dass die Identitätskrise der rechten Mitte kein exklusiv deutsches Phänomen ist: In Italien füllten Berlusconi und radikal rechte Parteien wie Giorgia Melonis Fratelli d'Italia das durch die Implosion der Democrazia Cristiana entstandene Vakuum. In Frankreich spielen die Républicains zwischen Macron und Le Pen kaum noch eine Rolle. Und die Tories versinken nach dem Brexit-Chaos in Unernst und Realitätsverweigerung. Thomas Biebricher widmet sich dieser internationalen Dimension und zeichnet die turbulenten Entwicklungen seit 1990 nach. Seine Befunde sind auch deshalb brisant, weil sich am gemäßigten Konservatismus die Zukunft der liberalen Demokratie entscheidet.

Thomas Biebricher, geboren 1974, ist Heisenberg-Professor für Politische Theorie, Ideengeschichte und Theorien der Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. 2018 sorgte er mit seiner Studie Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus für Aufsehen. Im Suhrkamp Verlag erschien zuletzt Die politische Theorie des Neoliberalismus (stw 2326).

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Präludium: Die Implosion der Democrazia Cristiana und das Ende der Ersten Republik

Nicht wenige Kommentatoren würden wohl dem englischen Historiker Donald Sassoon zustimmen, der 1987 zu dem Resümee gelangte, Italien habe »sich seit dem Krieg in einer kontinuierlichen Krise« befunden.[55]  Das Land war in den sechziger Jahren knapp an einem Militärputsch vorbeigeschrammt, stand in den Siebzigern vor dem Staatsbankrott und wurde in beiden Dekaden von links- und rechtsextremistischen Terroranschlägen erschüttert, mit dem traurigen Höhepunkt der Entführung und Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Aldo Moro 1978. Gleichwohl hatte sich unter Italienern und internationalen Beobachterinnen der achselzuckende Ausspruch »Eppur si muove« eingebürgert - »Aber es funktioniert ja doch«.

Ja, es hatte tatsächlich eine lange Zeit funktioniert - und nicht nur das. In vielerlei Hinsicht legte Italien nach dem Zweiten Weltkrieg eine spektakuläre Erfolgsgeschichte hin: Das Land industrialisierte sich rasant; Menschen zogen aus dem Mezzogiorno in den Norden, mit dem Wirtschaftswachstum nahm auch der Wohlstand zu. Weltweit verehrte Regisseure wie Roberto Rossellini, Federico Fellini oder Luchino Visconti dokumentierten den damit verbundenen sozialen und kulturellen Wandel. Anfang der Achtziger landete Umberto Eco mit seinem Roman Der Name der Rose einen Weltbestseller. Zudem verfügte Italien in ganz unterschiedlichen Branchen über erfolgreiche Unternehmen wie die Automobilhersteller Ferrari und Fiat, den Süßigkeitenkonzern Ferrero, Olivetti, einen frühen Pionier der Computerbranche, oder das Textilunternehmen Benetton, das ab 1970 jenseits der Apenninhalbinsel expandierte und bald auch in deutschen Kleinstädten Filialen eröffnete. Die ökonomische Dynamik resultierte 1987 im sogenannten sorpasso, als Italien beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf an Großbritannien vorbeizog und zur fünftgrößten westlichen Industriemacht aufstieg.[56]  Und so präsentierte sich das Land kurz darauf als stolzer Gastgeber eines (von Edoardo Bennato und der als »Rockröhre« apostrophierten Gianna Nannini besungenen) magischen Sommers, an dessen Ende Franz Beckenbauer selig entrückt über den Rasen des Olympiastadions in Rom wandelte.

Was sich dann Anfang der neunziger Jahre zusammenbraute, hatte jedoch eine andere Dimension und konnte nicht mehr auf die herkömmliche Weise abgetan werden. Selbst wenn man die Krise wie Sassoon als Normalzustand des italienischen Staatswesens betrachtet, muss man mit Blick auf den Zeitraum 1992 bis 1994 mindestens von einer potenzierten Krise oder mehreren miteinander verknüpften Krisen sprechen, deren Auswirkungen derart weitreichend waren, dass sich aus Sicht mancher Politikwissenschaftler der Übergang von der Ersten zur Zweiten Republik vollzog. Dies mag aus verfassungsrechtlicher Perspektive etwas überzogen sein und blendet zudem wichtige Kontinuitäten aus. Aber die frühen Neunziger markierten für Italien eine tief greifende Zäsur, die nicht zuletzt darin bestand, dass sie den politischen Raum der rechten Mitte radikal restrukturierte - oder ihn womöglich erst als solchen konstituierte.

Am 17. Februar 1992 betrat Luca Magni, der 32-jährige Inhaber einer kleinen Reinigungsfirma, das Mailänder Büro des sozialistischen Politikers Mario Chiesa. In einer Aktentasche hatte Magni sieben Millionen Lire dabei, nach damaligem Kurs etwa 5000 Euro; Schmiergeld, das Chiesa im Gegenzug für einen Auftrag in einem Altersheim verlangt hatte. Was der Politiker nicht wusste: Die Scheine waren präpariert, in einem Stift trug Magni eine Wanze bei sich. Als Chiesa das Geld gerade in einer Schublade verstaut hatte, betrat der Staatsanwalt Antonio Di Pietro in Begleitung einiger Carabinieri den Raum. »Dieses Geld gehört mir«, protestierte Chiesa. »Nein, dieses Geld gehört u