Buchhandlung Herder

Suche

Unsere NachkriegselternOverlay E-Book Reader

Unsere Nachkriegseltern

Wie die Erfahrungen unserer Väter und Mütter uns bis heute prägen | Miriam Gebhardt

E-Book
2022 Deutsche Verlags-anstalt
288 Seiten
ISBN: 978-3-641-22697-8

Rezension verfassen

€ 19,99

in den Warenkorb
  • EPUB sofort downloaden
    Downloads sind nur in Österreich möglich!
  • Als Hardcover erhältlich
  • Als Taschenbuch erhältlich
Kurztext / Annotation
'Warum bist Du so?' - eine Historikerin zeigt, warum wir in die Geschichte schauen müssen, um unsere Eltern und uns selbst besser zu verstehen
Wie wurden meine Eltern, wie sie sind? Und wie haben ihre Erfahrungen mein Leben geprägt? Die Historikerin Miriam Gebhardt zeigt, wie Nachkriegseltern und Babyboomer über die deutsche Geschichte miteinander verbunden sind. In 'Unsere Nachkriegseltern' geht es um das emotionale Erbe der deutschen Geschichte seit 1945. Viel hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg geändert. Doch gerade bei den privaten Themen, bei den Vorstellungen von Ehe, Familie, Erziehung und Sexualität, von Geschlechterrollen, Arbeit und Schmerz findet sich auch viel Kontinuität. Gebhardts neues Buch basiert auf zahlreichen biografischen Zeugnissen und auf den generationellen Erfahrungen ihrer eigenen Familie. Sie erzählt deutsche Geschichte als Familiengeschichte, ergänzt um den persönlichen Blick einer Babyboomerin auf ihre Nachkriegseltern.

Miriam Gebhardt ist Journalistin und Historikerin und lehrt als außerplanmäßige Professorin Geschichte an der Universität Konstanz. Neben ihrer journalistischen Arbeit, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit und verschiedene Frauenzeitschriften, habilitierte sie sich mit einer Arbeit über die Geschichte der Erziehung im 20. Jahrhundert, auf der »Die Angst vor dem kindlichen Tyrannen« (2009) beruht. Sie ist Autorin zahlreicher weiterer Bücher, darunter »Rudolf Steiner. Ein moderner Prophet« (2011), »Die Weiße Rose« (2017) sowie zuletzt »Wir Kinder der Gewalt« (2019). Ihr Bestseller »Als die Soldaten kamen« (2015) über die Vergewaltigungen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland durch die Soldaten der Siegerarmeen wurde breit besprochen und in mehrere Sprachen übersetzt. Miriam Gebhardt lebt in Ebenhausen bei München.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Einleitung

Mein Vater starb auf dem Weg zu einer Fahrradtour. Die Aussicht, gleich aufs Rad zu steigen und mit Freunden um den See zu fahren, hat ihn so kurz vor seinem Tod sicherlich noch einmal froh gestimmt. Ein Tag in der Natur, beim Wandern, Baden oder beim Boulespielen ist für ihn grundsätzlich ein guter Tag gewesen. Das Rad hatte er schon auf den Dachständer seines Autos gehoben, er wollte nur noch schnell einen Teller Suppe essen, da war es plötzlich vorbei. Mitten im »Aufbruch« - ein Wort, das er sehr schätzte - ereilte ihn der Tod. Er spürte ihn kommen, konnte noch den Notarzt anrufen, aber als der Rettungswagen da war, saß er bereits leblos in seinem Lesesessel. Herzstillstand. Es klingt hart, aber ich glaube, für meinen Vater war das ein guter Tod, ein Abgang zur rechten Zeit. Ein halbes Jahr später wäre er nämlich in ein Altersheim umgezogen und schon der Gedanke daran machte ihn mutlos, wie er mir bei unserem letzten Treffen gestanden hatte. Hinterbliebene trösten sich oft mit dem Gedanken, dass ihre Lieben »erlöst« würden, wenn sie sterben. Bei meinem Vater, glaube ich, stimmte das. Er wurde erlöst von der Aussicht auf ein Leben, das ganz bald begonnen hätte auszutröpfeln. Ein Ende aus einer Aktivität heraus, das passte zu seiner Vorstellung von einem gelungenen Leben viel besser.

Der erwartbare und dennoch so plötzliche Tod des Vaters nach einer schweren Krankheit, die er schon überstanden zu haben schien, löst einiges aus. Bei mir, die ich nun auch schon sechzig Jahre alt bin, weckte er das Bedürfnis, die Enden zu verbinden. Seither denke ich mehr über mein Leben und das meiner Eltern nach. Was habe ich von ihnen geerbt, und was unterscheidet uns? Ich rufe Erinnerungen an meine Kindheit auf und vergleiche sie mit meiner gegenwärtigen Wahrnehmung der alternden Eltern. Das Ergebnis ist durchaus paradox: Der beginnende Abschied bringt mich ihnen näher und zugleich trennt er mich von ihnen. Er überdeckt die Gegensätze zwischen uns, bringt mich dazu, sogar manche ihrer unangenehmen Wesenszüge an mir selbst wiederzuerkennen. Gleichzeitig sehe ich in meinen Eltern nicht mehr nur Individuen mit merkwürdigen oder nachahmenswerten Ansichten und Gewohnheiten, sondern auch die Vertreter ihrer Generation. Als Erben ihrer Eltern. Kurz gesagt: Ich fange an, sie zu historisieren. Ich stelle sie in ihre Zeit und muss erkennen: Sie sind nicht nur meine Eltern, sondern sie sind auch Nachkriegseltern, und das lässt mich selbst ein Stück weit aus der Zeit fallen.

Wie wir leben und wie wir sterben wollen, ist natürlich eine persönliche Frage. Ich zum Beispiel hätte nichts gegen ein langsames Hinausschleichen aus dieser Welt. Ich glaube allerdings, dass derartige individuelle Einstellungen immer einen kollektiven Anteil haben. Sie sind auch Ausdruck einer generationellen Mentalität. Diesen Lebenshunger, den mein Vater verspürte, empfinden viele in seiner Generation. Die Altersgruppe der zwischen 1930 und 1945 Geborenen war und ist auch noch mit weit über siebzig Jahren voller Energie. Manches Mal kommen sie mir sogar vitaler vor, als wir es sind - ihre Kinder. Zuletzt haben sie das während der Coronapandemie vorgeführt. Während wir, die Jüngeren, uns isolierten und auf vieles verzichteten, fuhren sie ohne zu zögern in ihr Ferienhaus nach Frankreich oder zum Wandern nach Österreich. Sie begannen miteinander online zu turnen und zoomten um die Wette, als seien sie die wahren »Digital Natives«. Hauptsache nichts verpassen.

Die Generation meiner Eltern wird auch als »Generation Kriegskind« bezeichnet. Das greift aber nur einen Teilaspekt ihres Lebens. Zwar stimmt es, dass sie ihre Kindheit und manchmal noch Teile der Jugend zwischen den Jahren 1939 und 1945 erlebt haben. Aber bewusst herangereift sind sie nach dem Krieg. Dadurch erklärt sich vieles, was ihnen in ihrem Leben so wichtig war und ist. Zum Beispiel ihre unerschütterliche Suche nach Er