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Das große BeginnergefühlOverlay E-Book Reader

Das große Beginnergefühl

Moderne, Zeitgeist, Revolution | Robert Misik

E-Book
2022 Suhrkamp Verlag
Auflage: 1. Auflage
284 Seiten
ISBN: 978-3-518-77306-2

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Kurztext / Annotation

Konventionen zertrümmern, Wahrnehmung revolutionieren, Neues imaginieren - das war der Geist der radikalen Moderne. Bert Brecht sprach vom großen Beginnergefühl. Heute scheint jeder utopische Optimismus verflogen - ist es damit ein für alle Mal vorbei?

»Keineswegs!«, hält Robert Misik solchen Abgesängen entgegen. Er unternimmt einen Parforceritt durch 200 Jahre linke Kunst: von Heinrich Heine bis Elfriede Jelinek, von Patti Smith bis Soap & Skin, vom Bauhaus bis zum Gemeindebau. Das Aufbegehren gegen das Überholte und die Revolutionierung der Stile sind auch heute die große Aufgabe der Kunst, genauso wie Exzess und Intensität. »Ändere die Welt, sie braucht es«, sagt Misik mit dem alten BB. Er skizziert ein ästhetisches Programm jenseits von Kommerz, Entertainment und dem ewig schon Dagewesenen.



Robert Misik, geboren 1966 in Wien, ist Journalist und politischer Schriftsteller. In der edition suhrkamp erschien zuletzt sein Essay Die falschen Freunde der einfachen Leute (es 2741), der mit dem Bruno- Kreisky-Preis für das Politische Buch 2019 ausgezeichnet wurde.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

9Einleitung

Kunst und Revolution.
Eine etwas andere Geschichte der Moderne

»Die Moderne war immer noch eine lebenssprühende Idee«, schrieb Susan Sontag knapp vor der Jahrtausendwende im Rückblick auf die sechziger Jahre in einem leicht melancholischen, fast deprimierten Ton. »Wie sehr man sich wünschte, dass ein wenig von der Kühnheit, dem Optimismus, der Verachtung für den Kommerz überlebt hätte.«1 Diese Sätze der großen amerikanischen Essayistin, formuliert wenige Jahre vor ihrem Tod im Dezember 2004, haben etwas von einem Abgesang. Gleichsam negativ rauscht im Hintergrund noch das Pathos, das wir mit dem Begriff der Moderne verbinden: Optimismus, Fortschrittsgeist, Lebensappetit, die Gewissheit, dass die Welt sich nicht einfach zufällig und ziellos verändert, sondern verbessert, dass Grenzen dazu da sind, überschritten und geschliffen zu werden.

Diese Gewissheit prägte die Atmosphäre einer ganzen Epoche: Fortschritt im Wissen macht uns klüger. Der technische und ökonomische Fortschritt macht uns reicher. Der gesellschaftliche und soziale Fortschritt wird die Welt gerechter machen (oder hat zumindest das Potenzial dazu), er erweitert Radius und Horizont, reißt, wie Karl Marx und Friedrich Engels das formulierten, immer mehr Menschen aus der Borniertheit und dem »Idiotismus des Landlebens«.2 Modernes Denken unterminiert Engstirnigkeit und Kleingeistigkeit und setzt alle Konventionen der permanenten und wirkungsvollen Kritik aus. Alle lieb- und unliebgewonnene Tradition wird dem Röntgenblick scharfsinniger Analyse unterzogen und dekonstruiert. Was von gestern ist, wird dem Müllhaufen 10der Geschichte zugeführt. Die permanenten Revolutionen und Stilrevolutionen in den Künsten eröffnen dem Sehen, dem Empfinden, dem Hören, dem Leben neue Kontinente. Die ambitionierten Künste sickern in die Alltagskultur, aber beispielsweise auch in die Architektur ein, prägen und verändern - und verbessern! - Lebenswelten. In der Politik verbreitet sich ein Geist der Revolution oder zumindest der ambitionierten Reformen. Neue Generationen räumen kühn den Schutt und die Trümmer der Altvorderen beiseite. »Es braucht die große tabula rasa, auf der man spielt, das beginnergefühl«, notiert Bertolt Brecht 1941 in sein Arbeitstagebuch.3 Natürlich ist all das keine Einbahnstraße, es gibt Gegenwind, etwa den Widerstand des Konventionellen in den Künsten, Reaktion und Gegenrevolution in der Politik, Stockungen wegen erlahmenden Elans, neuer Routinen oder Enttäuschungen, Aufstände des Konservatismus in der Ideenwelt, also diese Kämpfe, das Wogen, die Pendelschläge hin und zurück, all dieses übliche und bekannte »Weltkuddelmuddel«, wie Heinrich Heine das nannte.

Genau das will dieses Buch sezieren: die Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen revolutionären Ideen und Theorien, dem neuen Wissen, dem »Zeitgeist« im Sinne von verdichteten Atmosphären und gesellschaftlichen Grundströmungen sowie der künstlerischen Produktion und den großen geschichtlichen Epochebrüchen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf Kunst und Kultur, die immer wieder als Seismograf wirkten, Veränderungen vorwegnahmen, sie aber auch anstießen und beschleunigten.

Halb ist das eine Geschichte der modernen Kunst, halb ein tastender Essay, der die Frage stellt und diskutiert: Was waren eigentlich die einmal radikalen Thematiken der Kunst, die wir in der Rückschau fälschlicherweise fast schon für selbstverständlich und konventionell nehmen? Was ist radikale Kunst heute, was soll politische Kunst sein, was sind ihre Möglich11keiten, die Gesellschaft und die Diskurse zu beeinflussen und die Welt zu verändern? Denn das sind Fragen, die sich seit einigen Jahren die Künste selbst stellen: Wie kann man relevant sein? Dahinter lauert der Verdacht: Sind die Künste möglicherweise nur mehr Zerstreuung, Unterhaltung