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Acht Tage RevolutionOverlay E-Book Reader

Acht Tage Revolution

Ein dokumentarisches Journal aus Minsk | Artur Klinau

E-Book
2021 Suhrkamp Verlag
Auflage: 1. Auflage
150 Seiten
ISBN: 978-3-518-77044-3

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Kurztext / Annotation

Belarus, August 2020. Die Präsidentschaftswahl ist in vollem Gange. Artur Klinau, Schriftsteller und Künstler, erhält einen Anruf: Seine Tochter Marta wurde verhaftet. Er fährt nach Minsk und macht sich auf die Suche. In den überfüllten Gefängnissen der Stadt werden Menschen festgehalten, die gegen massive Wahlfälschungen protestiert haben und nun der Gewalt der Staatsmacht ausgeliefert sind. Erschütternde Berichte über Folterungen dringen nach außen.

Minutiös protokolliert Klinau seine Erfahrung dieser dramatischen Tage. Zugleich setzt er die Ereignisse ins Verhältnis zur jüngeren Geschichte des Landes und erschließt ihren politischen, historischen und lebensweltlichen Kontext. Mit bitterem, spöttischem Strich zeichnet er das Porträt eines Diktators, eines 'Künstlers' sui generis, der seine Werke mit der Axt erschafft.



Artur Klinau, geboren 1965, Schriftsteller und Architekt, gilt als einer der wichtigsten Ku?nstler seines Landes. Er lebt in Kaptaruny und in Minsk. Zuletzt erschien in der edition suhrkamp Minsk. Sonnenstadt der Träume (es 2491).

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

27Der erste Tag
9. August, Sonntag

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte.

Franz Kafka

Dass sie den Batka kaltmachen wollten, wurde schon im Mai deutlich, als der Wahltermin bekanntgegeben wurde.

Ich mag das Wort »kaltmachen« nicht, anders als jener, der gern Leute »auf dem Klo kaltmacht«, Fliegen von Frikadellen fernhält und mit den Kranichen zieht. Auf einmal verunglimpften sie das Batka-Figürchen im Herrgottswinkel als Kakerlake und er28hoben einen Pantoffel zum Symbol des Wandels. Ich ahnte sofort, woher der Wind wehte. Moskau hatte durchblicken lassen, wie die Sache laufen sollte. Der Kreml konnte eine Revolution in Belarus nicht gebrauchen. Pantoffeln stehen nicht für Wandel. Sie vermitteln keinerlei positive Botschaft, sondern besagen höchstens: Komm in die Puschen, nimm den Pantoffel und schlag die Kakerlake tot. Die Marschrichtung war klar. Natürlich nicht Mord, aber in die Ecke sollte er gedrängt werden, wie 2010. Damals war es den Regierenden im Kreml gelungen, die Sache so zu steuern, dass der Batka mehrere Jahre im Käfig saß und Belarus Europa entrissen war. Als nächster Schritt sollte die endgültige Kapitulation folgen, die Aufgabe der Souveränität. Aber ihn komplett zu zerquetschen - das hatte nicht geklappt. Mit dem Krieg in der Ukraine verschob sich die geopolitische Lage, und der Batka konnte aus dem Käfig entwischen.

Bei diesen Wahlen nun sollte er endgültig kaltgestellt werden. Der Starze aus dem Kreml war merklich verstimmt über den lokalen Götzen, daher sein geringschätziger Tonfall. Schon im vergangenen Jahr hatte er den Batka in den Schwitzkasten genommen, um ihm die Zustimmung zur Roadmap für die Integration der beiden Staaten abzuringen. Der hatte sich nach Kräften gewehrt, war nicht eingeknickt 29und hatte damit die Pläne für eine »schöne und elegante« Lebensverlängerung des Starzen um zwei weitere Amtszeiten durchkreuzt, die durch eine Union beider Staaten und eine neue Verfassung herbeigeführt worden wäre. Entsprechend groß war der Frust. Also sollte das eingeübte Stück noch einmal aufgeführt werden, aber so, dass die »Kakerlake« schmählich im Schraubglas festsitzt und endlich der Deckel draufkommt.

Dafür musste man nur Chaos und Massenunruhen provozieren. Demonstrativ hart durchgreifen würde der Batka dann schon von allein. Die altbekannte Tschekistentaktik, erprobt in zahlreichen postsowjetischen Staaten: die Lage destabilisieren, alle einmal mit den Köpfen zusammenstoßen und dann »divide et impera«, bevor der Sturm sich gelegt hat. Oder besser noch, den Batka nicht einfach demütigen, sondern ihn auch noch an seiner empfindlichsten Stelle treffen - seiner Selbstverliebtheit. Schließlich arbeitete Er, das Künstlergenie, seit 26 Jahren an seinem bombastischen Gemälde mit dem Titel Stabilität. Es war sein ganzer Stolz und der Quell seiner Selbstbegeisterung. Ein Monumentalgemälde, 50__×__100 Meter groß, entfernt an Anselm Kiefer erinnernd, nur eben in tausend Brauntönen. Was es darstellen sollte, war nicht zu erkennen - offenbar eine braune Sonne, braunen Himmel, braune Häu30ser, Erde und Menschen. Ein gigantisches braunes Rechteck, ein überdimensionaler Backstein mit Namen Stabilität.

Und nun wollte so ein revolutionäres, vom Kreml geschmiertes Gesindel sein makelloses Bild mit Farben aus anderen Töpfen besudeln: Orange, Gelb und Blau. Der Starze sah die Reaktion des Batka nur allzu deutlich voraus. Er würde seiner H